Ein zweiter Blick auf Windows 8

Im August letzten Jahres habe ich einen ersten Blick auf Windows 8 geworfen und war letztendlich eher enttäuscht. Mein neues X230 wurde mit Windows 8 geliefert und so entschied ich mich für einen zweiten Test, um das Ganze nochmals genauer zu testen.

Schnelle Bootzeiten

Das Notebook wurde mit einer 320 GB Festplatte (7200 RPM) ausgeliefert, die ich später dann durch eine 120 GB SSD ersetzt habe. Schon als die "langsame" Festplatte verbaut war, ist mir die sehr schnelle Bootzeit im Hybrid-Modus aufgefallen.

Binnen weniger Sekunden ist das System einsatzbereit und wartet auf Eingaben.

Verglichen mit meinen ersten Tests in einer virtuellen Umgebung muss ich sagen, dass ein deutlicher Unterschied spürbar ist. Trotz aktueller VMware-Tools und ausreichend proportionierter Hardware (sowohl physisch als auch virtuell) lief das virtuelle Windows 8 bedeutend langsamer, was für Unzufriedenheit sorgte.

Generell macht Windows 8 auf der modernen Hardware einen soliden ersten Eindruck.

Schnelle Bootzeiten sind jedoch nicht alles, wie sich recht schnell zeigte.

Loskacheln und Anecken

In vielen Diskussionen wird immer wieder die neue Benutzeroberfläche von Windows 8 als starker Kritikpunkt angesehen. Ich selbst stand der neuen Benutzeroberfläche bisher auch eher konservativ gegenüber. Mit Windows 8 weht ein frischer Wind in der fast 20 Jahre alten Windows Desktop-Geschichte - nicht nur die sehr minimalistischen Fensterdekorationen und das neue Logo sprechen für große Veränderungen in Redmond.

Viele Benutzer vermissen das klassische Startmenü und dessen Übersicht über installierte Software - im Grund genommen hat sich das aber gar nicht großartig geändert. Statt einem Viertel des Bildschirms wird nun eben der ganze Bildschirm für eine Auflistung installierter Software und Einstellungsmöglichkeiten verwendet. Wieso etwas vermissen, was man ohnehin nur einige wenige Sekunden sieht?

Wenn ich eine Anwendung starten möchte, weiß ich i.d.R. wie sie heißt und kann sie durch Eingeben des Programmnamens (bzw. eines Fragments des Namens)  nach Drücken der Windows-Taste starten. Das war auch schon unter Windows 7 möglich. Das klassische Starten durch Auswählen und Klicken hat sich zumindest für mich als zeitraubend und nicht mehr zeitgemäß erwiesen.

Abgesehen davon, legt man sich als "Power-User" häufig verwendete Programmverknüpfungen ohnehin auf dem Desktop oder in der Taskleiste ab, um sie schneller starten zu können. Das so oft in den Raum geworfene Argument "Ich kann meine Programme nur noch sehr schwer finden" kann ich nicht nachvollziehen.

Ein wenig umständlich hingegen ist die versteckte Schaltfläche zum Herunterfahren des Systems. Zugegebenermaßen war die Abfolge "Start > Herunterfahren" schon immer ein wenig paradox - aber "Einstellungen > Ausschalten > Herunterfahren" erachte ich als ungemein verwirrend und unnötig komplex. Da erscheint mir der Umweg über den Sperrbildschirm sinnvoller.

Die konsequente systemweite Umsetzung der bereits in Office 2007 und 2010 erprobten Ribbon-Oberfläche erachte ich als begrüßenswert, da der Benutzer nun nicht mehr zwischen alter und neuer Menüstruktur umdenken muss. Diese Änderung war abzusehen und stellte für mich keine große Hürde mehr dar. Jeder, der sich in den letzten 3 Jahren mit Microsoft-Produkten beschäftigt hat (was ja de-facto nahezu nicht ausbleibt), hat die neuartige Oberfläche bereits kennengelernt und sollte sie anwenden können. Ich persönlich habe mittlerweile eher Probleme damit, ein altes Windows XP-System mit Office 2003 zu bedienen, da ich mein Windows 7 und Office 2010 gewöhnt bin.

Sondertasten und eigenwillige Mäuse

Sehr verärgert hat mich hingegen das neuartige Verhalten der ThinkPad-typischen Sondertasten und UltraNav-Tasten. Auf einer ThinkPad-Tastatur stehen begeisterten Käufern zahlreiche Shortcuts zur Verfügung, von welchen ich die folgenden sehr häufig verwende:

TastenkombinationFunktion
FN + Bild Hoch / LeertasteThinkLight
FN + F2Bildschirmsperre
FN + F3Energieschema-Einstellungen
FN + F5WLAN/WWAN/Bluetooth ein-/ausschalten
FN + F8TrackPoint-/UltraNav-Einstellungen

Insbesondere die komfortable Steuerung aller drahtlosen Kommunikationsschnittstellen mithilfe der Tastenkombination FN+F5 verwende ich einige dutzende Male jeden Tag. Unter Windows 8 ist das so nicht möglich; trotz installierter Lenovo-Utilities werden alle drahtlosen Schnittstellen ein oder ausgeschaltet (Flugzeugmodus) - und nicht einzeln. Das ist sehr unschön, wenn man beispielsweise aus Stromspargründen lediglich Bluetooth und UMTS deaktivieren möchte. Um einzelne Schnittstellen auszuschalten, muss man sich durch einige weitere Fenster hangeln - das ist nicht intuitiv.

Sehr unschön ist auch das neuartige Verhalten der UltraNav-Maus. Ich persönlich verwende die mittlere UltraNav-Taste als mittlere Maustaste und nicht als universelle Scrolltaste, wie es standardmäßig voreingestellt ist. Bisher konnte man das Verhalten dieser Taste komfortabel in der Systemsteuerung konfigurieren - unter Windows 8 ist das erstmals nicht der Fall. Insbesondere beim Surfen im Internet oder Lesen von Word-Dokumenten verwende ich diese Taste häufig, um neue Tabs zu öffnen oder komfortabel mehrere Seiten zu überspringen. Mit Windows 8 kann ich das so nicht realisieren - ich habe keine Möglichkeit gefunden, dem Treiber meine bisherigen favorisierten Einstellungen beizubringen.

Treiber

Bezüglich der Treiber-Unterstützung erinnert mich Windows 8 an die ersten XP- und 7-Zeiten - viele Dinge funktionieren schon vernünftig, andere wiederrum gar nicht oder nur instabil.

Die verbaute Webcam meines Notebooks ließ sich weder mit dem von Windows mitgelieferten noch mit dem offiziellen Lenovo-Treiber zur Arbeit motivieren. Im vorherigen Kapital erwähnte ich bereits die halbherzige Unterstützung der UltraNav-Tasten, die ein intuitives Arbeiten deutlich erschweren.

Gelegentlich kam es bei meinem Setup vor, dass sich der Intel-Grafiktreiber aufhängt und  Windows bis zum nächsten Neustart in stark eingeschränkter Grafikleistung agiert. Ähnliche Effekte hatte ich bisher noch nie.

Windows 8 ist ein neues Betriebssystem und bedingt dadurch einige Zeit lang eine "Bananen-Version" - sie reift letztendlich beim Kunden. Ich bin mir sicher, in einem Jahr läuft Windows 8 bedeutend stabiler, da Hersteller nach und nach ihren Fokus auf das neue Betriebssystem lenken.

Ich habe aus diesem Grund bisher noch nie direkt nach Erscheinung einer neuen Windows-Version auf diese gewechselt. Erste Windows XP- und 7-Tests brachten damals in dieser Hinsicht exakt die gleiche Erfahrung.

Fazit

Microsoft geht mit Windows 8 sicherlich mit großen Schritten in eine zukunftssichere Richtung. Zahlreiche technische Erneuerungen unter der Haube, schnelle Bootzeiten und effizientere Ressourcenverwendung machen Windows 8 trotz kantiger Oberfläche zu einem Betriebssystem, die man nach einigen Feilarbeiten als "runde Sache" beschreiben könnte.

Einige Dinge wirken aus meiner persönlichen Sicht schlampig und  halbherzig umgesetzt. Vermutlich hat sich an der altbekannten "Window’schen Zweier-Release-Regel" nichts geändert. Bisher lag zwischen zwei stabilen und produktionstauglichen Windows-Versionen immer ein Release, dass für technische Marktanalysen verwendet worden schien. Als Beispiele hierfür möchte ich Windows XP (stabil, lange Wartung), Vista (Neues NT-Release sowie Erprobung der Aero-Oberfläche inklusive Mini-Anwendungen) und 7 (Ausgereiftes NT-Release mit ausgereifter Oberfläche) nennen. Wenn sich diese Regel fortsetzt, dürfte das nächste Windows auf bedeutend mehr Akzeptanz stoßen.

Es bleibt abzuwarten, welche Änderungen in die bereits in Entwicklung befindende Windows-Version einfließen. Ich persönlich möchte an dieser Stelle die neue Benutzeroberfläche gar nicht zu sehr kritisieren. Das neue Konzept bedarf sicherlich einer Umstellung (insbesondere für "alte Hasen"), ist aber durchaus verwendbar. Wie bereits erwähnt, muss man sich fragen, was sich überhaupt großartig ändert. Konzeptionelle Änderungen hatten schon immer hitzige Diskussionen und voreilige Entschlüsse als Folge. Letztendlich war es nur eine Frage der Zeit, bis man vom fast 20 Jahre alten klassichen Windows-Konzept Abstand nimmt, um im immer mehr zurückgehenden PC-Geschäft konkurrenzfähig zu bleiben.

Die zahlreichen neuen an Smartphones und Tablets erinnerende Programmelemente (Teilen-Funktion, Kacheloptik, optionale Cloud-Integration) gefallen mir nicht - aber ich muss sie auch nicht zwingend verwenden. Ich habe die Wahl zwischen weitesgehend klassischer Windows-Haptik und "moderner" Arbeitsweise.

Einige Dinge sind eben gewöhnungsbedürftig und erfordern einige Zeit lang ein gewisses Umdenken - irgendwann lassen sich Altlasten eben nicht mehr weiter pflegen. Ich finde, man muss bei solchen Erneuerungen auch bereit sein, über den Tellerrand zu schauen. Letztendlich geht Microsoft mit Windows 8 mit der Zeit und muss einige Fortschritte der Konkurrenz aufholen. Es gibt verschiedene Arten von Computer-Benutzern - neben den alt eingesessenen Anwendern gibt es eben auch jene, die die neusten, buntesten und schrillsten Features nutzen wollen. Für alle eine akzeptable Lösung zu finden ist da nicht immer einfach.

Ich behaupte, jedem noch so routinierten IT-Administrator, der seinen Job seit 20 Jahren ausübt, gelingt es, nach 2 Tagen mit minimalen Umstellungen in gewohnter Art und Weise zu arbeiten.

Für mich haben letztendlich die folgenden technischen Kritikpunkte gegen den Einsatz von Windows 8 gesprochen:

  • Verhalten von Sondertasten und UltraNav nicht vernünftig konfigurierbar
  • Nicht funktionierende Webcam trotz zertifiziertem Treiber (Sowohl der Microsoft- als auch der Lenovo-Treiber verrichteten ihren Dienst nicht)
  • Keine offizielle Unterstützung von TrueCrypt

Auch wenn ich gerne in den Genuss der zahlreichen technischen Erneuerungen gekommen wäre, bin ich bei gewissen Punkten nicht bereit, Abstriche zu machen. Eine nicht intuitiv verwendbare Notebook-Maus ist für mich ein absolutes No-Go.

Mal schauen, wie Windows 8 in einem halben Jahr auf dem X230 läuft. 🙂